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Was macht eigentlich … Fernando Parrado?

Sportler, Geschäftsmann, Motivationsredner aber vor allem Überlebender –
Fernando Parrado spricht mit OnLocation über den schrecklichen Flugzeugabsturz in den Anden, was er getan hat, um zu überleben, und wie die Tragödie sein weiteres Leben beeinflusst hat.

von Dina Spahi

Dies ist eine Geschichte über einen Passagierflug, das ein Rugby-Team, dessen Familienangehörige und Freunde sowie die Crew von Uruguay nach Chile befördern sollte, eine Geschichte darüber, wie das Flugzeug aus 18.000 Fuss in den Anden abstürzte und 12 Menschen tötete sowie darüber, wie die Überlebenden während 72 Tagen und Nächten extremen Bedingungen standhalten und herzzerreissende Entscheidungen treffen mussten, um zu überleben. Tatsächlich ist diese Geschichte, die sich vor 47 Jahren zugetragen hat, ein so beeindruckendes Zeugnis des menschlichen
Geistes, dass sie bis heute Dokumentationen, Filme und Biografien inspiriert.

Zwei Jahre nach dem Absturz, im Jahr 1974, wurde „Alive: The Story of the Andes Survivors“ von Piers Paul Read veröffentlicht. Die Geschichte basiert auf Interviews mit den Überlebenden und stellt den Flugzeugabsturz und seine Folgen – einige Überlebende erlagen ihren Verletzungen, weitere fielen später einer Lawine zum Opfer – auf nervenaufreibende Weise dar. Das Buch, das 1993 mit dem Titel „Alive“ verfilmt wurde, beschreibt die Not der Überlebenden und die Entscheidung, das Fleisch der Verstorbenen zu essen, aber auch die Tapferkeit von Fernando Parrado und Robert Canessa, zwei junge Männer, die sich auf den Weg über die tückischen, schneebedeckten Andenkordilleren machten, um fassungslose Retter zu ihren Freunden zu führen, die immer noch in den Bergen gefangen waren und von der Welt für tot gehalten wurden.

Fernando ‘Nando’ Parrado, der im Film vom Schauspieler Ethan Hawke porträtiert wird und der bei dem Unglück seine Mutter und seine Schwester verlor, hat zusammen mit Vince Rause das Buch „Miracle in the Andes 2006: 72 Days on the Mountain and My Long Trek Home“ geschrieben, eine schöne Geschichte über Freundschaft, Tragödien und Beharrlichkeit, die aus seiner Sicht erzählt wird. Nando präsentiert sowohl die erschreckenden Fakten der Geschichte der 16 Überlebenden, als auch die lebensverändernden Lektionen, die diese Erfahrung für ihn mit sich gebracht hat. Basierend auf diesen Lektionen und dem erfüllten Leben, das er seit dem Absturz geniesst, ist Nando zu einem der renommiertesten und gefragtesten Motivationsredner der Welt geworden, der seine Erfahrung in den Anden heute dafür einsetzt, um anderen zu helfen mit psychologischen Traumata fertig zu werden.

„Es ist besser eine Entscheidung zu treffen und einen Fehler zu machen als gar keine Entscheidung zu treffen. Es ist immer Zeit umzukehren.“

Nando Parrado

Autor, gefeierter Redner, Fernsehproduzent und Unternehmer…. Fernando hat seit den Ereignissen von 1972 einen langen Weg zurückgelegt!

Für On Location ist es eine Ehre, dass sich Nando Parrado die Zeit genommen hat, die grausamen Ereignisse des Unglücks, des Überlebens und der Rettung sowie all die Emotionen, die damit einhergehen, noch einmal Revue passieren zu lassen und uns zu erklären, wie er die Vergangenheit weiterhin würdigt und die Gegenwart feiert…

Es ist fast 47 Jahre her…. Sie geniessen eine glanzvolle Karriere und ein illustres Familienleben, aber drei Jahrzehnte nach dem Ereignis haben Sie das Un glück in ihrem Buch „Wunder der Anden“ wieder aufgegriffen. Wie haben Sie es geschafft, voranzukommen, ohne die Ereignisse auszublenden?

Seit dem ersten Tag meiner Rückkehr habe ich nie wieder zurückgeschaut. Es war ein bewusster Gedanke und eine Entschlossenheit, durch dieses Unglück nicht mein Leben zerstören zu lassen. Natürlich könnte dieses Erlebnis mein Leben beeinflusst haben, in gewisser Weise, die ich jedoch nicht auszudrücken vermag, vielleicht können es die Leute, die mich kennen. Ich fühle einfach nur, dass ich derselbe Kerl geblieben bin. Ich habe nichts verdrängt, aber die Erinnerungen an die Anden sind nicht allgegenwärtig, es sei denn, ich beschäftige mich bewusst mit ihnen.
Ich habe einfach realisiert, dass wir nur ein Leben haben und nicht zwei, und ich will es nicht mit PTBS (posttraumatische Belastungsstörungen), Drogen, Alkohol oder Depressionen verschwenden! Menschen, die traumatische Erfahrungen machen, tauchen oft in diese Dinge ein, um zu vergessen oder Fragen aufzuwerfen, auf die es keine Antwort gibt. Wieder atmen zu können ohne das Gefühl zu haben, dass ich dazu verdammt bin hoffnungslos zu sterben, das ist eine grossartige Sache.

Das erste Buch, „Alive“, wurde zwei Jahre nach dem Unglück geschrieben…. Sie haben das Ereignis 2006 in Ihrem Buch erneut aufgegriffen. Inwieweit haben der Lauf der Zeit und die Erkenntnisse die Neuauflage beeinflusst?

Das Buch „Alive“ wurde von einem grossen britischen Autor namens Piers Paul Read geschrieben. Es ist ein grossartiges Buch, eine fantastische Dokumentation über die Geschehnisse in den Anden. P.P. Read führte grossartige Recherchen durch, interviewte alle Überlebenden ausführlich und schrieb so eine eindeutige Darstellung über das, was in den Anden geschah. Es ist jedoch ein Buch, dessen Entstehung von den Christlichen Brüdern unserer Schule in Uruguay geleitet wurde. Wir waren noch sehr jung und wollten uns nicht in die Ver handlungen mit all den Verlagen einmischen, die an unserer Geschichte interessiert waren, also beschlossen die Brüder, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie wählten einen katholischen Schriftsteller und sagten uns, dass wir ein Buch schreiben sollten, denn wenn nicht, würden viele andere Bücher geschrieben werden und als Wahrheit gelte das, was auf diesen Seiten geschrieben stünde, und somit nicht die echte Wahrheit.
Es dauerte drei Jahre bis ich mein Buch fertig geschrieben hatte. Offensichtlich gelang es mir mit klarem Geist und einer wahrscheinlich gereiften Sicht über die Ereignisse und Verhaltensweisen zu berichten. Es gibt Dinge, die selbst die Zeit nicht ausmerzen kann. Verstehen Sie mich nicht falsch, das Anden-Unglück selbst verfolgt mich überhaupt nicht, aber die Kälte, das Geräusch unserer Schritte auf dem Schnee, die grauen Tage und die Emotionen… wenn ich innehalte und nachdenke, kann ich mich sehr gut daran erinnern. Zum Glück habe ich es meistens getan, während ich geschrieben habe!
„Alive“ ist die perfekte Beschreibung dessen, was dort geschah, eine unglaubliche Dokumentation. Ich denke, mein Buch hingegen ist reich an persönlichen Gefühlen und meiner Sichtweise auf diese Ereignisse.

Warum hatten Sie das Bedürfnis, ihre Version nieder zu schreiben? Welche neuen Erkenntnisse wollten Sie teilen?

Eigentlich hatte ich nicht das Gefühl, dass ich etwas teilen müsste. Mein Buch war zunächst ein Geschenk an meinen Vater Seler zu seinem 90. Geburtstag. Ich hätte nie gedacht, dass das Buch ein Bestseller und in 15 Sprachen übersetzt wird.
Nach einem Leben voller erstaunlicher Ereignisse, von unglaublichem Familienglück und -erfolg bis hin zu grausamen Situationen, wollte ich ein tolles Geschenk für den Geburtstag meines Vaters schaffen. Ich dachte darüber nach, ihm eine schöne Kreuzfahrt, ein Auto, ein Kunstwerk usw. zu schenken, aber er hatte alles und mit 90 Jahren sind die meisten Dinge überflüssig. Also dachte ich mir, dass es das beste Geschenk wäre, ein Buch für ihn zu schreiben. Ein Buch, in dem man, wenn man zwischen den Zeilen liest, sehen wird, dass alles, was er mich lehrte, mein Leben in den Anden gerettet hat. Er war der pragmatischste Mann, den ich je getroffen habe, und er lehrte mich, dass Pragmatismus die einzige Realität ist. Alles andere ist Theorie. Er wusste nie, dass ich das Buch schreibe, und drei Jahre lang schrieb ich auf meinem PC und speicherte es unter “Buch”. Schliesslich hatte ich genug Material für drei Bücher, aber mit Hilfe meines Freundes und grossen Schriftstellers Vince Rause haben wir die Kapitel bearbeitet und neu geordnet und das Buch wurde schliesslich von Crown auf der ganzen Welt veröffentlicht.

Anlässlich des 90. Geburtstages meines Vaters ging ich zu ihm nach Hause und überreichte ihm ein Hardcover der ersten Ausgabe. Er war überrascht und fragte mich: “Worum geht es in diesem Buch?” Ich antwortete: “Lies es einfach”. Ein paar Tage später umarmte er mich mit der gleichen Wärme und Kraft, mit der er mich umarmte, als wir nach der Rettung wieder vereint waren. „Danke. Ich liebe Dich so sehr.“, das waren seine Worte und für mich war es das schönste Geschenk, das ich je in meinem Leben gemacht habe.

Im ersten Buch, welches verfilmt wurde, werden Sie als Held dargestellt. Es wurde gesagt, dass Ihre Hoffnung und Ihr Wille zu leben, die Menschen um Sie herum inspiriert haben. Erinnern Sie sich, dass Sie sich so hoffnungsvoll gefühlt haben?

Wenn ich jetzt manchmal mit meinen Freunden spreche, die auch überlebt haben – wir nennen uns „Brüder“, sagen sie mir, dass ich ihnen immer Vertrauen und Zuversicht gegeben habe und dass sie wussten, dass ich irgendwie da rauskommen würde. Ich wünschte, sie hätten meine Gedanken lesen können! Ich hatte solche Angst, dass ich nicht aufhören konnte zu zittern. Ich fühlte, dass wir in grossen Schwierigkeiten waren und höchstwahrscheinlich sterben würden. Meine Gedanken drehten sich nur darum, wie ich sterben würde. Verhungern? Erfrieren? In eine Gletscherspalte stürzen? Falls ich verzweifelt war, kann ich nur erahnen, was sie durchgemacht haben. Das Einzige, dessen ich mir sicher war, ist, dass ich sterben würde, aber ich würde im Kampf um mein Leben sterben. Solange ich atmete, gab es Hoffnung. Ich würde weitermachen, bis ich nicht mehr atmen konnte. Ich war pragmatisch und deshalb denke ich, dass ich die grausame Realität gesehen habe, bevor meine Freunde es taten, und ich handelte nach dem, was mein Vater mich gelehrt hatte. „Handle gleich und bete später. Panik bringt dich um, Angst rettet dich.“ Ich erinnere mich, dass ich immer versucht habe, den anderen zu helfen. Ich kann nicht erklären, warum. Vielleicht, weil ich, falls wir sterben würden, wenigstens sterben wollte, während ich Gutes tue.

Der Rumpf des abgestürzten Flugzeugs wurde für Fernando und seine Teamkollegen in den Anden zur „Heimat“.

Einer der faszinierendsten Aspekte ist, wie sie als Team in diesem Spiel von Leben und Tod füreinander da waren.

Ich denke ehrlich, dass wir eine sehr homogene Gruppe waren. Die meisten von uns kamen aus derselben Schule, hatten denselben Hintergrund, dieselbe Religion, dieselbe Nachbarschaft und waren sehr sportorientiert. Fünfzehn Minuten nach dem Unfall hatten wir bereits einen Anführer (Marcelo Perez del Castillo, der Teamkapitän), wir agierten als Team. Ich habe oft gedacht, dass wahrscheinlich niemand überlebt hätte, wenn dieser Unfall mit einem Verkehrsflugzeug passiert wäre. Die Massnahmen, die wir in den ersten zwei bis drei Stunden nach dem Absturz ergriffen haben, liessen uns zweieinhalb Monate überleben. Auf einem kommerziellen Flug befinden sich Passagiere unterschiedlichen Alters mit verschiedenen Charakteren und Sprach-, Religions- und Bildungshintergründen, Alleinreisende und Familienreisende… in solch einer Situation wäre es sehr schwer gewesen, einen Anführer zu finden, der Anweisungen hätte geben können, und wir wären wahrscheinlich alle in der ersten Nacht erfroren. Während unserer Tortur gab es absolut keine Gewalt – es gab Freundschaft und Liebe. Ich glaube, die Situation wäre mit Fremden anders gewesen, besonders wenn man gezwungen gewesen wäre, extreme Überlebensentscheidungen zu treffen. In diesen Situationen kommen die besten oder schlechtesten Verhaltensweisen ans Licht.

Ein Aspekt, den die Leute vielleicht vergessen, ist, dass sie alle hauptsächlich Rugbyspieler waren. War es mehr die körperliche oder die mentale Stärke, die Ihnen geholfen hat, durchzukommen?

Rugby ist kein Sport, es ist eine Religion. Es gibt so viele Mannschaftssportarten auf der Welt, aber keine ist wie Rugby. Es ist die einzige Mannschaftssportart der Welt, bei der der Spielername nicht auf der Rückseite des Teamtrikots steht. Wir sind alle gleich, keine Stars. Man beschützt seinen Teamkollegen mehr als in jeder anderen Sportart. Natürlich denke ich, dass wir mehr Chancen hatten als z.B. Mitglieder einer Philharmonie oder des Gartenclubs. Ja, die körperliche Stärke war ein Vorteil, aber wenn ich zurückblicke, war die mentale Stärke wichtiger. Um die Qualen, die Kälte, die Depression und dann die 10-tägige Durchquerung der Anden zu ertragen, brauchte ich etwas, von dem ich nicht wusste, dass ich es hatte. Ich hatte etwa 40 Kilo abgenommen, und das zu versuchen, was wir getan haben, ist ohne einen starken Geist nicht möglich. Aber das ist ein Rückblick, zu der Zeit konnte ich nicht an die mentale Stärke denken. Ich wusste, dass ich eine Überlebenschance von 0,00001 % hatte und dass ich klettern und dort rausgehen musste, wenn ich überleben wollte. Ich war mir nicht einmal bewusst darüber, was Widerstandsfähigkeit ist. Ich war von etwas gesteuert, was ich heute „Reptilienhirn“ nenne. Wie ein Insekt oder eine Schlange handelte ich nur geleitet von Impulsen und der Angst.

Es schien als ob die meiste Zeit, alle ziemlich gut miteinander auskamen. War das der Fall?

Die Art und Weise, wie wir uns in diesen 72 Tagen unter den extremsten Überlebensbedingungen untereinander verhielten, war die Grundlage unseres Überlebens. Es gab nie Feindseligkeiten. Wir sagen immer, dass wir nie so gut waren wie in den Anden. Vielleicht war es ein unbewusster Gedanke, dass wir, wenn wir sterben würden, wenigstens als gute Menschen sterben sollten.

Apropos Geschichtenerzählen, warum denken Sie, hat Roberto Canessa seine eigene Version der Geschichte geschrieben und was sind die Hauptunterschiede zwischen beiden Berichten?

Viele der Überlebenden haben Bücher oder Artikel geschrieben. Jeder hat seine eigene Geschichte, die er drucken lassen wollte, um etwas Eigenes zu haben. Ich wollte meinem Vater nur ein Buch als Geschenk schreiben, nichts veröffentlichen oder Erklärungen zu den Ereignissen hinzufügen. Die Tatsache, dass mein Buch in 15 Sprachen übersetzt wurde, überstieg meine Absichten oder Erwartungen. Als ich anfing mein Buch zu schreiben, dachte ich, dass ich es selbst veröffentlichen müsste, vielleicht in einer Auflage von 100 Exem­plaren, und es meinem Vater und Freunden schenken würde.
Einige Bücher spiegeln ein gewisses „Ego“ wider und manche Situationen werden so beschrieben, wie ich sie bisher nicht gesehen habe, oder sie beschreiben Charaktere, die durch die Zeit oder das Erzählen von Geschichten so oft verzerrt wurden, dass man selbst anfängt, daran zu glauben. Oftmals sage ich, dass ich bei einem anderen Flugzeugabsturz war! Es gibt nur eine echte, wahre Geschichte, die man im Buch „“Alive“ von Piers Paul Read lesen kann… Wir alle kennen sie. Alle anderen Bücher sind mit persönlichen Gesichtspunkten behaftet, vielleicht sogar meines.

Aber nun ist dazu genug gesagt.

In der ersten Nacherzählung bildeten Roberto und Sie ein grossartiges Team. Ist es wirklich auf Sie beide zurückzuführen, dass die Gruppe zusammengehalten hat, sowohl bei der Entscheidung über unsere Proteinquelle als auch später als es darum ging, sich auf den gefährlichen zehntägigen Weg zur Rettung zu begeben?

Obwohl wir in Charakter und Persönlichkeit sehr unterschiedlich sind, hatten wir grosses Einfühlungsvermögen und konnten sehr gut zusammenarbeiten. Sollte ich mich jemals in einer kniffligen Situation befinden, ist die Person, die ich neben mir brauche Roberto. Ich denke, dass wir den Ernst unserer Situation wirklich verstanden und dass wir uns aufeinander verlassen haben, ohne wirklich darüber zu sprechen.
Da ich so pragmatisch war, wusste ich, dass der einzige Weg Zeit zu gewinnen und zu überleben darin bestehen würde, auf den Sommer zu warten und die Leichen zu essen. Roberto, der Medizin studierte, war sich dessen ebenfalls sofort bewusst. Aber die Situation war so extrem, dass ich sicher bin, dass alle Jungs zur gleichen Zeit zum gleichen Schluss gekommen sind.
Ich wusste, dass die einzige Möglichkeit zu Überleben in unseren Händen lag, und ich traf die Entscheidung zu gehen sehr früh, aber ich musste warten bis der Sommer kam. In den folgenden Wochen sprach ich mehrmals mit Roberto und bat ihn mit mir zu kommen. Ich hatte grosse Angst, da ich diesen Weg nicht alleine schaffen würde. Es dauerte mehrere Wochen, aber er verstand schliesslich, dass wir nicht ewig am Wrack bleiben konnten, und stimmte zu, mich zu begleiten. Wenn ich zurückblicke und über die Zeit nachdenke, sehe ich Roberto und mich viel arbeiten und jede Expedition unternehmen. Die meisten anderen Überlebenden befanden sich im Inneren des Flugzeugwracks und entfernten sich nie mehr als 30 Meter davon.

Hat Ihnen die Zugehörigkeit zu einem Team in Ihrem Leben geholfen? Oder glauben Sie, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen müssen?

Beides ist wichtig. Beim Sport oder in der Arbeit ein gutes Team zu haben, ist entscheidend für den Erfolg. Ich glaube an ein gutes Team und habe meine Prinzipien aus den Anden stets auch in meinem Unternehmen verfolgt. Ich glaube an meine Leute und vertraue ihnen. Vertrauen ist so wichtig. Mein erster Kameramann bei meiner Fernsehgesellschaft ist seit 36 Jahren bei mir und ist heute mein Manager. Meine Sekretärin Sandra arbeitet seit 26 Jahren für mich. Aber wenn es darum geht wichtige Entscheidungen zu treffen, sind Sie allein und müssen sich nur auf Ihre Erfahrungen und Intuitionen verlassen. Jeder Einzelne muss sich zu bestimmten Zeiten auf sich selbst verlassen können, er muss sein eigenes Leben führen und Entscheidungen treffen, das ist dem Menschen innewohnend. Es sei denn, man lebt in einem kommunistischen Land!

Im Film ist der Augenblick des Absturzes selbst für die Zuschauer erschütternd. Welche Änderungen wurden an dieser Flugroute oder an den Sicherheits- und Rettungsmassnahmen seither vorgenommen?

Die Absturzszene im Film ist sehr real dargestellt. Ich erinnere mich nur bis zum Moment des ersten Aufpralls daran, dann bin ich in Tausendstelsekunden gestorben. Ab dem Moment kann ich mich an nichts mehr erinnern, erst wieder ab dem vierten Tag, als ich aus meinem Koma erwacht bin.
Diese Flugroute ist sehr sicher und wird jeden Tag von vielen Flugzeugen geflogen. Heutzutage haben alle Flugzeuge Leuchtraketen an Bord und sind mit einer sehr fortschrittlichen Ortungstechnologie ausgestattet.

Sie haben sich in verschiedenen Bereichen sehr gut behauptet. Wie haben diese Ereignisse Ihre Denkweise, Ihr Leben und Ihre Arbeit geprägt?

Ich würde es anders formulieren. Wahrscheinlich sind es die Entschlossenheit und der Pragmatismus, die ich vor dem Absturz hatte, die mir erlaubt haben, dort zu überleben. Ich habe einfach immer wieder auf die gleiche Weise gelebt und die gleiche Entschlossenheit auf die Dinge angewendet. Meine Frau sagt, dass mein IQ sehr niedrig ist, aber dass ich sehr zielstrebig und belastbar bin und dass ich immer bekomme, was ich will, auch wenn es lange dauert. Vielleicht habe ich nie einen philosophischen Wandel durchgemacht und war immer derselbe.

In dem Moment, in dem alle wussten, dass die Suche beendet war, was haben Sie da gesagt / gefühlt / getan? Wie ging es den anderen?

Ich bin vor Angst erstarrt. Eine Zeit lang reagierte mein Gehirn nicht. Es ist unmöglich auszudrücken, was man fühlt, wenn man zum Sterben verdammt ist. Aber dann vergehen die Stunden und man muss sich mit der Situation auseinandersetzen. Keine Hoffnung. Die Hoffnung verlängerte nur die Qualen. Die Realität ist so hart. Nicht einer deiner besten Tage… Ich wusste an diesem Tag, dass wir verloren waren. Einige der Jungs weinten leise, andere umarmten sich. Ich sass im Rumpf und wollte aus diesem Alptraum erwachen… aber es war kein Alptraum.

Fernando lebt mit seiner Familie in Uruguay.

An dem Tag, als Sie entschieden haben zu essen, um zu leben, wie haben Sie sich da gefühlt? Ruhig? Traurig? Wütend?

Ich hatte keinen dieser Gedanken. Da war nur ein „Das ist es, was wir tun müssen, also lasst es uns tun“. Wieder pragmatisch. Für einige Menschen ist es schwer zu verstehen, wie man Leichen essen kann, um zu überleben, aber als der weltweit Erfahrenste auf diesem Gebiet kann ich Ihnen sagen, dass jeder in dieser Situation zu der gleichen Entscheidung gekommen wäre. Theorie ist eine Sache, Realität eine andere.
Hunger ist unsere grösste Urangst. Hunger wird nie auftreten, wenn die Situation nicht real ist. Es ist nicht wie Fasten, das testet nur den Willen, den Kühlschrank nicht zu öffnen. Nicht zu wissen, wann man wieder essen wird, ist die schlimmste Angst, die man sich vorstellen kann, und man wird die tiefe Angst vor Hunger nicht verstehen, bis der Körper anfängt, sich von sich selbst zu ernähren. Wenn Muskeln, Fett, Leber in Energie umgewandelt werden und man es selbst spürt. Es ist beängstigend. Es ist seltsam und gewissermassen beruhigend, wie sich Menschen an das Entsetzen gewöhnen. Nach ein paar Tagen war der Kampf gegen die Kälte und den Durst wichtiger.

Im Film wird die Wanderung etwas beschönigt. In Wirklichkeit war das eine unglaubliche Reise.

Die Wanderung? Es war eine der unglaublichsten Bergüberquerungen in der Geschichte des Bergsteigens. Das Budget, um diese zu filmen, reichte nicht aus, also wurde sie einfach mit Bildern eines Hubschrauberflugs dargestellt.
Mit unserer Unwissenheit war es Wahnsinn das zu wagen. Hätten wir jedoch gewusst, was uns bevorsteht, hätten wir den Rumpf nie verlassen. Wir dachten, dass wir 8 Kilometer von der Rettung entfernt waren, tatsächlich waren es etwa 85 Kilometer.
Eine meiner härtesten Errungenschaften im Leben war es, Roberto zu überzeugen nach Westen zu gehen… er wollte nach Osten gehen. Aber hier sind wir, lebendig und mit unseren Familien, also war es der richtige Weg!

Welche waren die interessantesten Momente dieses Weges?

Ich könnte sicherlich sagen, dass die ganzen 10 Tage „interessant“ waren! Aber die, die ich nie vergessen werde, waren die, als ich den ersten Gipfel erreichte und nach Westen blickte. Ich erwartete von dort eine kleine Stadt und Strassen zu sehen aber ich erkannte, dass ich mitten in den Anden war. Auf dem Gipfel traf ich eine der grössten Entscheidungen meines Lebens: Ich beschloss, dass ich bei diesem Rettungsversuch sterben würde. Es war wie eine Art langsamer Selbstmord. Wir haben uns 10 Tage lang gegenseitig angetrieben. Er war der Beste. Wir waren ein grossartiges Team, denn ich war wie ein Zug, ich wollte nicht anhalten, ich ging wei ter und weiter und weiter während Roberto mich teilweise zurückhielt. Es war eine perfekte Teamarbeit, denn sonst wäre ich in den ersten Tagen ausgebrannt gewesen. Die letzten beiden Tage waren hart, weil wir uns in einem Zustand der Schwäche befanden, der schrecklich war. Glücklicherweise haben wir Hilfe gefunden, denn wir hätten keinen weiteren Tag mehr wandern können.

Beschreiben Sie den Moment, als Sie sich in Sicherheit befanden. Als Sie Ihren Vater und Ihre ältere Schwester gesehen haben, zu Hause waren.

Ich bräuchte dafür ein ganzes Kapitel, aber wenn ich es zusammenfasse, dann kann ich mich daran erinnern, dass die folgenden die besten Momente waren:
a) Der Moment, in dem ich den Landwirt sah. Ich wusste damals, dass ich ein Leben haben würde und
b) als ich den Rettungshubschrauber zum Unfallort führte und meine Freunde lebend sah.
c) 1972 gab es keine Handys, kein Internet oder was auch immer. Es war eine prähistorische Ära, also dauerte es anderthalb Tage bis mein Vater die Rettungsstelle erreichte und erst als er mich in die Arme schloss, konnte er fragen, ob meine Mutter und meine Schwester noch am Leben waren. Heutzutage kann man diese Dinge sofort klären.
d) Mein Hund Jimmy, mein Freund, der jeden Morgen mit mir am Strand lief und in meinem Bett schlief, war durch eine schreckliche Zeit gegangen. Eines Tages ging ich weg und kam nicht wieder zurück. Niemand sagte ihm, dass ich gestorben sei. Fast drei Monate lang war er deprimiert und traurig. Als ich bei meiner Rückkehr die Tür öffnete, lag er auf dem Boden und als er mich sah, standen seine Ohren auf, seine Augen weiteten sich und er rannte auf mich zu, sprang an mir hoch und schrie und schrie wie ein Mensch. Ich glaube, dass er vor Freude geweint hat. Er wollte für die nächsten Tage nicht von meiner Seite weichen. In der Tat eine grossartige Erinnerung.

Warum glauben Sie, dass diese Geschichte so viel Resonanz findet und nach all den Jahrzehnten immer noch faszinierend und eigenartigerweise ermutigend ist?

Dies ist eine Geschichte, die fast unmöglich zu wiederholen ist. Heutzutage würde die Technologie mit GPS und Smartphones (die sich in jeder Passagiertasche befinden würden) das Auffinden des Flugzeugs zu einer Frage von Minuten machen. Es ist eine Geschichte wie die der Beatles: Sie wird mit der Zeit besser, weil sie nicht wiederholt werden kann, sie beinhaltet alle Zutaten, die sie einzigartig macht. Die Menschen hören gerne davon, erleben oder beantworten gerne die Frage, die ihnen am Herzen liegt: Wie hätte ich in einer solchen Situation reagiert? Sie wollen es wissen, aber ohne es zu erleben.

Wie waren die letzten 10 Tage bevor Sie sich auf den Weg gemacht haben?

So viele Gedanken gingen mir durch den Kopf. Ich wusste, dass ich ziemlich schwach wurde und ich wusste, dass ich die Flucht versuchen musste, bevor es zu spät war. Es gab ausserdem fast keine Leichen mehr. Was würde „nach dem letzten Körper“ passieren? Ich wollte nicht dabei sein. Ich drängte Roberto immer wieder dazu zu gehen. Ich spürte, dass ich mich einem Punkt ohne Rückkehr näherte. Am letzten Tag, als ich die Entscheidung getroffen hatte am nächsten Morgen aufzubrechen, konnte ich nicht schlafen. Ich wusste nicht, ob ich am nächsten Morgen den Mut haben würde. Aber die Angst vor den Folgen des Verbleibens im Rumpf half mir bei der Entscheidung und ich entschied mich, das Band zu meinen Freunden und dem Flugzeugwrack zu durchtrennen. Sie blieben mit grossen Hoffnungen, die nach dem dritten Tag starben, zurück. Ich wollte in zwei Tagen mit den Rettungskräften zurück sein und 10 Tage später war ich immer noch nicht wieder zurückgekehrt. Sie dachten, dass wir gestorben seien und ich kann nur oberflächlich nachempfinden, was sie wohl gedacht und getan haben.

In den Momenten, als sie alle mit dem Sterben konfrontiert wurden, haben Sie da irgendwelche Geständnisse gemacht oder Geheimnisse verraten? Sie waren viel zu jung für Reue, aber haben Sie und Ihre Freunde daran gedacht, was sie vermissen würden… Oder gab es derartige Gedanken nicht, um positiv und hoffnungsvoll zu bleiben?

Abgesehen von dem Gedanken davon wie ich sterben würde, gab es den, dass mich im nächsten ruhigen Moment jemand im Wrack verzehren könnte. Ich wusste, dass es ein Mädchen auf der Welt gibt, das ich nie treffen würde, weil ich sterben würde. Hätte ich das Flugzeug nicht bestiegen, hätte ich sie getroffen, mich verliebt und eine Familie gegründet. Ich würde nie die Freude an der Liebe und am Kinderkriegen erleben.

Ein professioneller Rennfahrer…. eine der gefährlichsten Sportarten. Hatten Sie keine Angst mehr vor dem Tod?

Mein Vater war der Gründer der uruguayischen Racing Drivers Association. Seit ich sehr jung war, nahm er mich mit auf die Rennstrecken. Sein Leben drehte sich um Rennwagen und Motorräder. Als ich 17 oder 18 Jahre alt wurde, wollte ich natürlich sehr gerne Rennen fahren, aber ich traute mich nicht. Für mich waren Rennfahrer Superhelden, ich liebte den Geruch von Rennöl und die Geräusche, aber ich habe mich nicht getraut, selbst Rennen zu fahren.
Als ich von den Anden zurückkam, sagte ich mir, dass ich fast gestorben wäre, ohne etwas auszuprobieren, das mir in meinem Leben sehr wichtig war. Es hätte der Wunsch sein können Arzt, Schreiner, Zahnarzt, Architekt oder Gärtner zu werden… aber, nein…es waren Rennwagen. Also begann ich mit dem Rennsport und gründete mein eigenes Team. Es war nicht so, dass ich keine Angst vor dem Tod hatte oder dass ich unsterblich war. Es ging darum, das zu erreichen, was mir wichtig erschien. Es war eine so grossartige Entscheidung, denn durch den Rennsport fand ich die Liebe meines Lebens, meine Frau Veronique.

Fernando und seine Familie würdigen diejenigen, die das Unglück nicht überlebt haben.

Als Fernsehpersönlichkeit konnten Sie wieder selbstbewusst auftreten. War das ein weiteres Beispiel für Furchtlosigkeit nach dem Überleben?

Ich liebe Filme und irgendwann in meinem Leben wollte ich Filme produzieren, aber das war in einem kleinen Land wie Uruguay sehr schwer umzusetzen, besonders in den 80er Jahren. Am nächsten kam diesem Wunsch die Fernsehproduktion und so begann ich, Sportprogramme zu produzieren. Daraus entwickelte sich ein TV-Unternehmen, das Inhalte für Fernsehsender produzierte. Mein Unternehmen wurde sehr erfolgreich und produzierte jede Woche fünf verschiedene Programme. Ich habe viel Geld gespart, indem ich sehr hart gearbeitet und die Arbeit von 10 Leuten erledigt habe. Da ich für einen Moderator nicht bezahlen wollte, habe ich die Intros für mehrere meiner Programme selbst gemacht und mir ein sehr gutes Gehalt bezahlt! Meine Frau Veronique war für alle finanziellen Aspekte des Unternehmens verantwortlich und präsentierte 22 Jahre lang zwei meiner TV-Programme. Wenn ich zurückblicke, sehe ich, dass wir viel Spass an der Zusammenarbeit hatten.

Ein Beispiel für die vielen Lektionen, die Fernando durch den Unfall und das Überleben gelernt hat.

Sie sagen über sich selbst vor dem Unfall: „Ich lebte für den Moment, trieb mit der Flut, wartete darauf, dass sich meine Zukunft offenbarte, zufrieden damit, mir den Weg von anderen weisen zu lassen.“ Inwieweit hat Sie dieses Ereignis zu einer Führungsperson gemacht?

Wenn Sie definieren können, was eine Führungsperson ist, kann ich Ihnen die Frage vielleicht beantworten. Ich habe immer zugehört und nicht viel geredet, aber wenn die Zeit kam – jedes Mal, wenn ich mich in meinem Leben erinnere – habe ich mich immer selbst entschieden und bin hingegangen, wohin ich gehen wollte. Vielleicht war ich in meiner Jugend nicht der Rudelführer, aber ich war auch nicht im Hintergrund. Ich nahm mir einfach Zeit und wusste, wann ich handeln musste. Ich bin meinen Weg gegangen und denke, dass ich mich auch heute noch genauso verhalte. Vielleicht habe ich mich gar nicht verändert, sondern nur die Art und Weise wie die Menschen mich sehen ist eine andere, da sie die Resultate von gewissen Dingen, die ich in meinem Leben getan habe als „Führung“ definieren.

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